Mit der Freischaltung der Vorbestellmöglichkeit für Surface for Windows RT im Windows Store (ich hatte hier berichtet), ist der Startschuss gefallen. Auch der Preis steht fest, 479 Euro zum Einstieg, 579 Euro mit Touch Cover. Aber hat Microsoft sich mit diesen Preisen möglicherweise verzockt und das Surface wird im Vergleich zu Apples iPad und den zahlreichen Android-Tablets nur unter ferner liefen rangieren?
Ich gestehe, das ist erst einmal eine gewagte Behauptung – verkauft sich das Surface doch angeblich “wie geschnitten Brot” – zumindest waren einige Modelle in den USA kurz nach dem Start der Vorbestellung ausverkauft.
Interessante Zahlenspiele
Aber ein Blick hinter die Kulissen kann vielleicht helfen. In diesem Beitrag weist ZDNet.com darauf hin, dass es mehr als ein “stylishes” Keyboard Dock braucht, um dem Surface auf die Sprünge zu helfen. Sterne Agee Analyst Shaw Wu glaubt, dass Microsofts Preisfindung ein Fehler war. 479 Euro seien einfach zu hoch für das Basis-Modell, um agressiv am Markt zu punkten. Das könne sich als fataler Fehler herausstellen – so dass das Surface für Windows RT irgendwo an vierter oder fünfter Stelle im Tablet PC-Markt segeln werde.
Wu hält einen Preis von 299 US $ für das Basismodell inklusive des Tastatur-Cover für eine Schwelle, die die Nachfrage wirklich ankurbelt. Der Analyst weist auch darauf hin, dass Apple 22,3 Millionen iPads und mit dem erwarteten iPad-Mini wohl 3 bis 4 Millionen Stück verkauft, während Microsoft in der gleichen Periode (laut Planung bzw. Fertigungsmenge) 2 bis 3 Millionen Geräte absetzen will. Google soll im Vergleichszeitraum 5 bis 6 Millionen des Nexus 7 absetzen, während Amazon zwischen 3 bis 4 Millionen Kindle Fires vertickt.
Wu geht noch einen Schritt weiter und prognostiziert, dass das Surface auch die Verkäufe von Windows RT-Geräten von ASUS, Dell, HP, Lenovo und anderen Herstellern kanibalisieren werde. Die eigentlichen Gewinner seien daher Google und Amazon.
Und sonst alles paletti?
Die genannten Zahlen haben schon was Bestechendes, selbst, wenn man postuliert, dass alles optimal mit dem Surface RT läuft. Da bin ich aber zwischenzeitlich nicht mehr so sicher. Da gibt es die von mir hier angesprochene Problematik, dass das Office 2013 RT nicht für kommerzielle Zwecke eingesetzt werden kann. Auch die teuren Peripheriegeräte (siehe hier) lassen keine Freude aufkommen – zumal man das hätte anders lösen können (siehe folgende Ausführen).
Geht man noch einen Schritt weiter, werden weitere Schwächen des Konzepts sichtbar. In diesem Artikel thematisiert TheVerge.com das Problem, dass dem “Normalkunden” der Unterschied zwischen Windows RT- und Windows 8-Tablets nicht bekannt ist. TheVerge.com stellt bei Microsoft große Versäumnisse fest, diese Unterschiede der breiten Masse bekannt zu machen. Sobald die ersten Kunden feststellen, dass der Kauf eines 600 Euro-Geräts ein Schuss in den Ofen war, weil die vorhandenen Windows “Banking- und Fotoprogramme” nicht drauf laufen – und eine Aufrüstung auf Windows 8 Pro nicht geht, kommt geballter Frust auf. Und genau das wird eintreten – die ersten zwei Fälle sind mir hier und hier schon über die Füße gelaufen. Und in einem Fall sprechen wir von Studenten, die ich als jung und eigentlich gebildet einstufen würde. Vom Thema “Treiberkompatibilität & Co.” erst gar nicht zu reden – denn das haben noch die wenigsten auf dem Radar (ich hatte bereits vor Monaten auf diesen Sachverhalt hingewiesen).
Zieht man ein Fazit: Mit dem Surface for RT bekomme ich ein sehr teures Surfbrett, was fast nix kann – die Menge der Apps ist noch recht bescheiden und die Funktionalität lässt zu wünschen übrig. Das mag sich mit der Zeit ändern, wenn mehr und vor allem attraktivere Apps bereitstehen. Aber bei mir bleibt ein ungutes Gefühl, bei einem “Windows”-Gerät auf Gedeih und Verderb auf Microsoft und seinen Store angewiesen zu sein.
Ein iPad hat zumindest noch den Nimbus des Exklusiven und es stehen jede Menge Apps bereit. Zudem kommt niemand auf die Idee, auf einem iPad Windows bzw. Windows-Anwendungen installieren zu wollen. Ein iPad-Mini zu 250 Euro dürfte es auch nochmals rappeln lassen. Wer aber eine Abneigung gegen Apple hat, weil man sich mit Haut und Haaren an diesen Hersteller bindet, der kommt beim Microsoft Surface for Windows RT vom Regen in die Traufe! Apps gehen nur über den Windows Store – und was Microsoft nicht gefällt (z.B. Erwachsenenspiele), kommt da nicht rein. Und bei der Hardware kommt auch so langsam Licht ins Dunkel.
Positiv: Das Tablet hat eine USB-Buchse und einem microSDXC-Card-Slot. Im gleichen Atemzug wird man aber über den Tisch gezogen. Zur Akku-Ladespannung wird zwar in den Technikspezifikationen nichts gesagt. Aber das Teil hat ein eigenes Ladegerät – dürfte sich also nicht über die 5 Volt eines USB-Kabels aufladen lassen. Das externe Zusatznetzteil liefert 24 Volt – (ob’s mit dem verbindungslosen Ladevorgang zusammenhängt, konnte ich nicht herausfinden, da Microsoft sich hier bedeckt hält – wie es mit der Verlustleistung magnetischer Ladegeräte ausschaut, ist auch unklar).
Und dass man proprietäre Adapterkabel zum Preis von 40 Euro braucht, um von der Videoausgangsbuchse auf einen VGA- oder HDMI-Anschluss zu kommen, ist bester Apple-Stil. Also ein Schuss in den Ofen! Dass man wegen der kompakten Bauweise so was braucht, ist Humbug – fast jedes popelige Android-Tablet kommt mit microHDMI-Ausgang – und es hätte noch die Möglichkeit gegeben, eine MHD-Schnittstelle zu implementieren. Technisch wäre es möglich, man wollte halt nicht. Ich habe das Thema Peripherie hier bereits von einigen Tagen thematisiert und hier ist es gestern auch WinFuture aufgefallen.
Die Sparbrötchen unter uns bekommen für 200 Euro ganz gute Android Tablets wie das Nexus 7. Sollte Google dann noch Ende Oktober ein 99 $ Tablet nachschieben, ist’s Essig mit dem Surface RT. Wer das kauft, läuft Gefahr, als Depp in die Ecke gestellt zu werden.
Nicht repräsentative Beobachtung beim eigenen Verhalten
Ich mag mich ja nicht als Maß aller Dinge hinstellen. Aber meine Beobachtung ist: Ich habe seit fast 2 Jahren ein iPad, ein WeTab-Tablet PC, auf dem ich Android x86 4.0 oder Windows 8 fahren kann, sowie gelegentlich Android Tablet PCs und Android Phablets. Möchte ich was sinnvolles tun, wie z.B. in Microsoft-Foren posten etc., werfe ich zwischenzeitlich mein Netbook mit Windows 7 an. Hat ne Tastatur und tut, was es soll. Das iPad kommt nur noch ganz selten zum Einsatz, meist bin ich zum “couchsurfen” mit einem Android Phablet unterwegs. Liegt das WeTab gerade in greifbarer Nähe, boote ich meist Android x86, weil ich vieles (trotz meiner Windows-Affinität) lieber mit diesem System erledige (ist einfach schneller und unkomplizierter). Es bleibt also spannend zu sehen, wie sich das Ganze wirklich entwickelt.
Der Artikel ist eine schöne Beschreibung des Dilemmas, in das sich Microsoft gerade hineinmanövriert. Da baut man mit hohem Aufwand ein tolles Gerät, das mit attraktiver Preisgestaltung durchaus das Zeug hätte, deutliche Marktanteile zur gewinnen. Aber stattdessen orientiert man sich mit den Preisen am iPad. Für ein Kultobjekt wie das iPad kann man diese Preise verlangen, zumal die Apple-Kunden ohnehin eine stark ausgeprägte Markentreue haben. Der typische Microsoft-Kunde ist wesentlich preisbewusster und kann Windows-Rechner wegen des intakten Wettbewerbs zwischen den Hardware-Anbietern ja auch vergleichsweise günstig erwerben. Dieser Wettbewerb wird auch bei den Windows-Tablets der OEMs zu attraktiven Preisen führen. Vielleicht will Microsoft den OEMs das untere Preissegment überlassen, um sie nicht noch mehr zu verärgern. Aber dann wird das Surface eine Randerscheinung bleiben, und man hätte sich die Entwicklungskosten sparen können.
Und auch das noch – erst gestern in den Microsoft Answers-Foren zu Windows 8 auf geharnischte Kommentare gestoßen, dass die Shop-Funktion zum Bestellen von Surface RT nicht ginge. Jetzt lese ich [1], dass die Besteller in USA und Kanada teilweise nicht am 26.10. sondern erst am 2. November die Geräte ausgeliefert bekommen.
Mein Gott, gerade ist wieder ein Sack Reis in China umgefallen – und jetzt geht die Welt wohl unter.
1: http://www.engadget.com/2012/10/20/microsoft-surface-pre-order-delay-canada-uk/
Nachtrag: Nach gut einer Woche stelle ich fest, dass Microsoft die dicken Klöpse zum Surface aus dem Microsoft Store entfernt hat. Die Texte sind in deutsch, es wird auch eine 2 jährige Gewährleistung thematisiert.
So weit so gut. Käufe sind aber nach wie vor nur über Kreditkarte möglich.
Unter [1] habe ich übrigens eine kleine FAQ rund um’s Surface zusammen gestellt. Scheinbar sind auch die ersten Vorab-Geräte aus ausgesuchte Journalisten gegangen – unter [2] hat Martin Geuß von Dr. Windows eine kleine Zusammenfassung zu ersten „hands-on“-Berichten erstellt.
1: http://www.borncity.com/blog/2012/10/24/faq-zum-microsoft-surface/
2: http://www.drwindows.de/content/1002-microsoft-surface-erste-reviews-hands-on-videos.html