So im Alter – möglicherweise kurz vor der Rente – ins Ausland gehen und dort leben. Viele Deutsche hängen diesem Traum nach. Sendungen wie "Goodby Deutschland" befördern das Ganze noch. Die Wirklichkeit sieht oft aber ernüchternd aus – oft scheitern die Pläne an der harten Wirklichkeit: Sprachbarrieren und Gesundheitsfragen.
Mein Traum vom Leben und Arbeiten in der Sonne
Ich gestehe, ich bin ja auch so ein Vogel, der vom Leben in der Freiheit unter Palmen geträumt hat. Es fing mal ganz harmlos an: Als junger Ingenieur arbeitete ich in der Großchemie. Wer das kennt, weiß, dass da dampfende Kessel, rußende Schornsteine und was weiß ich dazu gehören. War als Schüler und Student auch in Stahlwerken, Gießereien und Kokereien, wo es noch schmutziger war. Aber ich hatte immerhin einen Büro-Job im Chemiewerk und war mit einem Team an Ingenieuren für Software-Entwicklung zuständig.
Die "Sehnsüchte" eines Angestellten
Aber in der Mittagspause führte mich mein Weg oft aus dem Werk heraus, und im Sommer saß ich dann meist auf einer Bank am Main, ließ mir die Sonne auf den Pelz scheinen und dachte "Hach, was muss es jetzt so herrlich sein, wenn Du jetzt im Mittelmeer am Strand sitzen und ein Glas Wein trinken könntest. Italien, Du und dein Dolce far niente, ich würde ja kommen, wenn es nur ginge".
Nun ja, wie es mit den Träumen so ist, die bleiben Schäume. Karl, nimm deine Tropfen und geh arbeiten. Zwölf Jahre war ich in der Großchemie tätig, und habe im Grunde coole Projekte realisieren können. Eines hat mich sogar bis nach Japan getragen, ein anderes nach Thailand. Und ich hatte eine Mannschaft aus Entwicklern, die mich immer noch begeistert. Anfang des Jahres war ich zur Beerdigung eines Mitarbeiters, und erfuhr, dass eine Software, die ich so ab 1985 konzipiert hatte und mit meinem Team entwickeln ließ, immer noch läuft und bei über Tausend Firmen in Deutschland eingesetzt wird. Aber: Ich habe dann doch nach 12 Jahren den Exit gewählt.
Der Abend auf Mallorca
Im Sommer 1993 saß ich am Strand in Mallorca auf einer Liege. Meine zwei kleinen Kinder spielten im Sand, wir hatten gerade zu Abend gegessen, die Sonne begann langsam im Westen im Meer zu versinken. Ein Augenblick "schön zum Sterben" – und wir am Mittelmeer.
Aber statt uns am Abendhimmel satt zu sehen, haben meine Frau und ich diskutiert: "Soll ich springen, beim Arbeitgeber kündigen, und fortan als freier Schriftsteller Computerbücher schreiben." Oma hätte gesagt: "Wenn's dem Esel zu wohl wird, geht er auf's Eis". Vater hätte gesagt: "Junge, lass den Mist, bleibe bei deinem Arbeitgeber und mache keine Experimente".
Meine Frau hat gesagt: "Mache es, ich will mit 50 keinen frustrierten Mann am Küchentisch sitzen haben, der seiner verpassten Chance nachtrauert". Also bin ich gesprungen und habe mich vor fast genau 32 Jahren, am 1. Oktober 1993 selbständig gemacht.
Wie der Traum zerplatzt …
Hey, ich habe mein Hobby, ein bisschen über Computer zu schreiben, zum Beruf gemacht und musste seit dem Tag nie wieder arbeiten. Die Leute fragten meine Frau zwar: "Was macht ihr Mann, der ist ja jetzt immer zuhause" – man wollte hören "der ist arbeitslos". Aber auf die Antwort "der ist jetzt Schriftsteller", kam sofort "Oh, Gott, kann man davon leben?" – nun ja, die letzten 32 Jahre hat es funktioniert und nun bin ich auch noch Rentner.
Aber zurück zum Thema: Als Schriftsteller hätte ich von jedem Ort der Welt schreiben können – lange bevor es digitale Arbeitsnomaden und Influencer gab. Etwas Strom, ein Computer und gelegentlich ein Internetzugang hätten gereicht, um meine Manuskripte zu schreiben und abzuliefern. Ein Autorenkollege hat es getan, aus Südost-Asien geschrieben und lebte ständig in der Angst, keine Aufträge mehr zu bekommen. Machte auch mal einige Zeit auf "Rennfahrer". Heute ist er wieder in Deutschland und kutschiert, wenn ich richtig informiert bin, Ausflügler mal zum Nürnburg-Ring.
Aber was ist jetzt vom Traum "Auf Mallorca oder Ibiza leben und arbeiten? Morgens a bisserl schreiben, Mittags Siesta halten und am Nachmittag mit Surfbrett an den Strand pilgern?" Tja, der Traum zerplatzte sofort, als ich selbständig war und der nächste Frühling anrückte. Plötzlich hätte ich ja gekonnt, den "spinnerten Traum vom Leben und Arbeiten im Süden, am Mittelmeer" umzusetzen.
Aber der Reiz war weg! Wenn ich mir das so durchdacht habe, fielen mir sofort Tausend Gründe ein, warum das nicht geht und auswandern eine Schei** Idee ist. Die Häuser in Italien, Griechenland, Spanien und der Türkei ließen von der Bausubstanz und der Qualität doch arg zu wünschen übrig. Hallo, ich bin Elektriker und auch noch Ingenieur, ich kann das beurteilen. Und überhaupt, im Sommer ist es am Mittelmeer so heiß, da kannst Du nicht arbeiten. Mir ist ein Urlaub auf Ibiza erinnerlich, wo vor Hitze nichts ging.
Dann kam noch das Problem mit der Sprache hinzu. Englisch geht, französisch bin ich nie fließend sprechend geworden – ich habe es ja nie praktisch gebraucht – und auf italienisch oder spanisch parlieren sind irgendwie "ferne Dörfer". Wie verklickerst Du der Gemeinde, dass Du dein Business registrieren musst? Ein Autorenkollege, mit einer Italienerin verheiratet, hatte in einem Buch die Winkelzüge der Bürokratie in Italien skizziert, die sein "Geschäft" nahezu unmöglich machten.
Ich machte einige Jahre mit Microsoft USA Geschäfte und musste viele Steuerdokumente für die US-Steuerbehörde ausfüllen, konnte, Doppelbesteuerungsabkommen sei Dank, die Steuerfragen mit der deutschen Finanzverwaltung regeln. Wollte ich mir im Ausland nicht auch noch ans Bein binden.
Dann gab es die kurzen Urlaubsausflüge nach Zypern, Kreta, in die Türkei etc. – überall bereits im Vorsommer braune, verbrannte Vegetation. Du kamst nach Hause und stelltest Anfang Mai "Huch, ist das alles herrlich grün hier geworden" fest. Ich lebe und arbeite ja im Taunus – und stelle immer wieder fest "geniale Location, wo Du leben und arbeiten darfst". Büro zu, Walking-Schuhe angezogen und mit der Frau bei gutem Wetter im Taunus, im nahen Rheingau, in der Pfalz, im Spessart oder im Odenwald wandern – ist ja max. eine bis zwei Stunden Autofahrt weg.
Und dann war da noch die Fragen aller Fragen: Du sitze in Spanien, wirst von Hämorriden gequält und sollst dem Doctor auf spanisch verklickern, wo es kneift. Wenn Du dann "mach mir die Cojones weg" flüsterst, kann das ins Auge gehen. Kurzum: Als ich gekonnt hätte, war der "Traum vom Leben und Arbeiten im Süden" plötzlich nicht mehr da – puff, geplatzt. Ich fand Tausend Gründe, warum es nicht ging. Meine Frau und ich haben uns öfters überlegt, ein Häuschen als Urlaubsziel am Lago Maggiore oder an anderen Orten zuzulegen, um dort kurze Zeit weilen zu können, uns aber immer dagegen entschieden.
Wir sahen an Ostern und in den Herbstferien am Lago Maggiore beim Wandern die aufgelassen Rusticos in den Bergtälern. Oft parkten Audis, BMWs, Porsches mit Kennzeichen aus dem Rhein-Main-Gebiet in der Nähe und in den Ruinen waren Leute am schuften, um die 14 Tage Ferien zu nutzen und das Rustico zu renovieren oder auf Vordermann zu bringen. Und dann gab es doch nur Strom oder fließendes Wasser über selbst im Wald über Kilometer verlegte Kabel oder Wasserschläuche. Fäkalien musste aus einer Grube abgefahren werden. Nein Danke.
Und was sagt die Statistik?
Kürzlich fiel mir eine Umfrage von YouGov als Pressemitteilung unter dem Titel " Umfrage – Auslandsträume der Deutschen scheitern an Sprachbarrieren und Gesundheitsfragen" in die Finger. Da war dann die obige Geschichte sofort präsent. In der Pressemitteilung hieß es, dass eine aktuelle YouGov-Studie im Auftrag der digitalen Auslandskrankenversicherung PassportCard folgendes zeigt:
- 57 Prozent der Deutschen können sich vorstellen, Deutschland für mindestens drei Monate oder länger zu verlassen.
- Gleichzeitig äußert fast die Hälfte der Befragten Sorgen, wie sie sich im Ausland verständigen.
- Fast 40 Prozent sorgen sich außerdem wegen eventuell fehlendem Zugang zu medizinischer Versorgung. Sprachbarrieren, Bürokratie und eine verlässliche Gesundheitsversorgung zählen zu den größten Hürden.
Die Ergebnisse belegen, so die Pressemitteilung: Mit dem Wunsch nach grenzüberschreitendem Leben und Arbeiten wächst auch das Bewusstsein für medizinische Absicherung. Die Pressemitteilung hatte zwar das Ziel, für eine Auslandskrankenversicherung zu werben. Aber die obigen Gründe gegen einen längeren Auslandsaufenthalt oder gar auswandern kommen mir doch arg bekannt vor. Wird zwar spontan einige Leser geben, die "wir haben es gemacht" antworten.
Aber ich sage, so ein Schritt will wohl überlegt sein. Ich habe zwar mit der Selbständigkeit als Schriftsteller einen riesigen Sprung gewagt, aber nicht auch noch "etwas Ausland" als weitere Herausforderung aufgesattelt – wobei bei uns noch familiäre Verpflichtungen dazu kamen.



