In der ersten Arbeitswoche lernte ich die Mitarbeiter für die geplante Biotechnik-Mannschaft sowie das Ingenieurteam kennen. Neben dem mir bereits bekannten Herrn Mamamoto war dies ein illustres „Völkchen“ an japanischen Kollegen.
Da gab des den Chefingenieur, Herrn Thoma, mit dem ich sehr gerne zusammenarbeitete. Immer ein breites Grinsen im Gesicht und den Schalk im Nacken, war er zu manchen Späßchen aufgelegt. Aufgewachsen als Bauernsohn, tat er sich mit den „Feinheiten“ der japanischen Gesellschaft (sprachliche Ausdrucksweise, Verhalten) schwer und hatte daher bei einer Gaijin-Firma angeheuert. Ein unheimlich netter Kollege, der aber im Machosystem japanischer Männer gefangen war. Mit ihm habe ich so manche nette Episode erlebt.
Die zweite Kollegin war Frau Hashimoto, die in Heidelberg studiert hatte und dadurch ein perfektes Deutsch sprach. Für japanische Verhältnisse war Frau Hashimoto äußerst progressiv. Bereits während ihres Studiums in Heidelberg zog sie ihre 1 1/2 Jahre alte Tochter alleine groß. Zurück in Japan heuerte sie bei einem deutschen Pharmaunternehmen an. Kurz vor meiner Ankunft hatte sie ihren Ehemann in die „Wüste“ geschickt und lebte mit ihrer, im Teenie-Alter befindlichen, Tochter alleine. Sie wollte nun Karriere bei der deutschen Firma machen …
… haderte aber mit der machohaften männlichen Gesellschaft Japans – die die Frau als „liebendes Weibchen für Küche und Kinder“ sahen. Große Hoffnungen setzte sie damals auf Madam Doi, eine Politikerin einer kleineren Partei, die sich anschickte, als Koalitionspartner in die japanische Regierung zu kommen. Dort erhoffte man sich, dass Frau Doi die Rechte der Frauen in der japanischen Gesellschaft stärken könne. Leider musste ich feststellen, dass die Anfangserfolge nicht anhielten und die Partei von Frau Doi bei der nächsten Parlamentswahl, trotz vieler Vorschusslorbeeren mehr oder weniger “marginalisiert” wurde.
Frau Hashimoto übernahm es dann auch, mir ein paar Hintergrundinformationen über “japanische Gesellschaftangelegenheiten” zu vermitteln. So erzählte sie mir, dass sie lieber ein Marmeladenbrot zum Frühstück äße als das traditionelle japanische Frühstück mit Reis, grünem Tee und rohem Fisch zuzubereiten. Sie hatte nämlich keine Lust, entsprechend früh aufzustehen, um das Frühstück traditionell zuzubereiten. Dazu muss man wissen, dass in Japan die Anfahrtswege zur Arbeit oft sehr lang sind und die Menschen oft 1 bis 1 1/2 Stunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren (speziell im Großraum Tokyo). Frau Hashimoto vermisste insbesondere das “gute deutsche Brot”.
Beim Mittagstisch in der Werkskantine war sie es auch, die mir den Tipp gab, die Einweg-Holzstäbchen (o-Hashi) statt der lackierten Holzstäbchen zu nehmen, da sich diese besser handhaben ließen. War ein guter Tipp, denn ich brauchte so ca. eine Woche, bis ich auch “kollateralschädenfrei” ein Mittagessen mit den lackierten Essstäbchen bewerkstelligen konnte.
Und irgendwann erfuhr ich von Frau Hashimoto auch so ganz nebenbei, dass es wie ein Lauffeuer durch das Werk gegangen war, dass ein neuer Gaijin da sei, der kein Problem mit einem japanischen Frühstück habe. Die meisten deutschen Besucher versuchten mit westlichem Essen sowie Messer und Gabel zu überleben (die deutschen Manager der Anlage wohnten sowieso in Tokyo und nahmen die einstündige Anfahrt per PKW in Kauf).
Neben Frau Hashimoto gab es noch Herrn Nishibayashi, der eine Ausbildung als Pharmazeut besaß und offenbar aus gehobenen Verhältnissen stammte. Er war als “Manager” für die Biotechnikanlage vorgesehen und sprach ebenfalls gut deutsch. Seine Frau arbeitete als Apothekerin und verdiente wohl “das Geld” in der Familie. Ich habe nie herausgefunden, warum er sich in einem Gaijin-Unternehmen verdingt hatte. Zumal im Laufe des Projekts seine Tochter lebensgefährlich an Leukämie erkrankte und er trotzdem für 6 Monate zur Einarbeitung nach Deutschland geschickt wurde. Aber Japaner sind da knallhart, wenn es um das Zurückstellen persönlicher Angelegenheiten ging. Dies konnte ich auch bei Herrn Thoma bemerken, dessen Vater während meines zweiten Aufenthalts starb. Bis auf eine kurze Auszeit zur Bestattung war er in der Firma anwesend und ließ auch keine Anzeigen von Trauer erkennen.
Ganz pfiffig waren auch zwei junge Mess- und Regeltechniker, her Kobajashi und Herr Wanabe. Sie wohnten als Junggesellen in einer Hochhaussiedlung in einer kleinen Wohnung, die für die dortigen Verhältnisse günstig und nicht allzu weit von der Arbeitsstelle weg war. Beide sprachen nur englisch, sollten aber einen Deutschkurs belegen und waren für allerlei Späße zu haben. Bei einem Trainingsaufenthalt in Deutschland fielen beide auch dadurch auf, dass sie gerne mit ihren deutschen Kollegen “um die Häuser zogen”.
Im Rückblick betrachtet, war keiner dieser Kollegen, ein “waschechter” Japaner – wie ich später noch feststellen konnte. Denn dann hätte ich noch mehr Brass gehabt und wäre wie die “sprichwörtliche Axt im Walde” unterwegs gewesen. Aber so erhielt ich immer wieder nützliche Tipps von Frau Hashimoto, die den Spagat zwischen japanischer und westlicher Gesellschaft sowie die kulturelle Ignoranz der Japaner gegenüber Ausländern nur zu gut nachvollziehen konnte.
Beim ersten Aufenthalt lernte ich diese Kollegen bei Arbeitsbesprechungen, Firmenbesuchen und auch bei den allabendlichten Ausflügen in die Gaststätten von Kawagoe kennen – und auch schätzen. Eines der “dringendsten Probleme” der Kollegen war, dass sie kein “green grass” hatten. Wer von diesen Personen in Deutschland war, bewunderte die satt grünen Wiesen und vor allem den grünen Rasen in deutschen Vorgärten. In Japan verwandelten sich die Rasenflächen dagegen im Hochsommer in eine bräunliche Wüste mit verdorrtem Gras. Erst der Herbst ließ die Graswurzeln wieder ausschlagen und das Grün sprießen. Ich kann mich noch erinnern, dass ich aus Deutschland Großsendungen mit Grassamen für echt englischen Rasen an die Kollegen verschickte. Bin mir aber ziemlich sicher, dass auch der so ausgesähte Rasen im Sommer braun wurde – denn dann brannte einfach die Sonne erbarmungslos auf’s Land und brachte die Vegetation zum verdorren.
Mehr zu den Erlebnissen mit dieser illusteren Runde in den nächsten Beiträgen.
„Ein unheimlich netter Kollege, der aber im Machosystem japanischer Männer gefangen war.“
„Sie wollte nun Karriere bei der deutschen Firma machen …
… haderte aber mit der machohaften männlichen Gesellschaft Japans.“
Das ist interessant – leider. Denn es überrascht mich und ich stelle fest, dass ich von Japanern wirklich gar keine Ahnung habe.
Mich regt ja die stark zugenommene Machoisierung in Deutschland/Europa enorm auf und es wird leider weiter zunehmen, weshalb ich die Japaner beneidet habe. Eigentlich hätte ich es mir denken können. Man muss nur an japanische „Kampfkunst“ denken. Filme mit Gewalt und Geschrei interessieren mich allerdings nicht, weshalb ich sie mir auch nicht ansehe.
Ich schaue seit geraumer Zeit gerne BL-Serien (kostenlos auf Viki & YT) und finde die Japaner darin immer sehr liebenswert. Die verbeugen sich wegen jedem vermeintlichen kleinen Fehltritt ziemlich tief und völlig aufgeregt (hektisch).
Nun sehe ich die Serie „My Beautiful Man“ mit etwas anderen Augen. Der äußerst liebenswerte Hira hatte demnach großes Glück, dass das Mobbing gegen ihn nicht auch noch körperlich wurde. Ich hatte ohnehin ständig Angst um ihn und wäre am liebsten dauernd in die Serie gesprungen, um ihm zu helfen. Er brachte mich oft zum Weinen, aber auch immer wieder zum Lachen.
Wer keine Berührungsängste mit LGBT hat, dem empfehle ich diese Serie, und auch „Life ~ Love On The Line“ (hier möchte man dem hochneurotischen, äußerst liebenswerten Yuuki ständig helfen). Beide Serien sind kostenlos (der Film „Life ~ Love On The Line, Director’s Cut“ hingegen nicht!), ohne Anmeldung und mit deutschen Untertiteln auf Viki anzusehen. Sie sind sehr berührend und enden glücklichweise nicht traurig! Einfach im dortigen Suchfeld danach suchen.