Bei meinen Arbeitsaufenthalten lernte ich auch die Seiten abseits der Büros, die das japanische Arbeitsleben so bereithält, kennen. Nachdem ich als der Gajin bekannt war, der japanisch frühstückt und im Ryokan wohnt, wurde ich in das Ingenieursteam integriert. Und in Japan ist es Tradition, dass die Mannschaft sich nach der Arbeit in einer Art Stammlokal zum Trinken und gemeinsamen Essen trifft.
Also ging es vereint zum Werkstor hinaus, um drei Ecken, und schon stand man vor einem japanischen Lokal. Es war einerseits ein japanisches Restaurant, aber keine gehobene Variante, sondern ein Lokal, wo man günstiger essen und trinken konnte. Die Mannschaft nahm an einem größeren Tisch Platz. Anschließend wurde Bier und warmer Sake (Reiswein) serviert. Zu essen gab es meist Tempura, frittierte japanische Speisen (Fisch, Gemüse etc.). Schmeckte alles nicht schlecht.
Das ‘Feiern’ nach Feierabend war für mich teilweise eine Tortur. Einmal der viele Alkohol, speziell der warme Sake knallt auf nüchternen Magen ganz gut rein. Da ich schnell die japanischen Angewohnheiten lernte, wusste ich, dass der Sake aus speziellen Trinkgefäßen aus Porzellan getrunken wurde. Der Sake wurde aus kleinen Karaffen eingeschenkt, es war aber nie ersichtlich, ob ein Gefäß leer getrunken wurde. Meine Strategie war: Nur etwas nippen und auch möglichst wenig vom Bier trinken. Wenn dann nachgefüllt und mit dem Ruf Kampai (zum Wohl) auf Ex getrunken wurde, bekamen die japanischen Kollegen immer die volle Ladung ab, während ich den Alkoholkonsum zu drosseln wusste. Auch wusste ich um die Trinkrituale und schenkte den Kollegen tüchtig nach, um mit dem Ruf Kampai die nächste Trinkrunde zu initiieren.
Die Strategie ging auf. Sobald die Runde in Alkoholdunst versank (ging ganz schnell) und die Aufmerksamkeit der Kollegen nachließ, wurde schon mal ein halbes Gefäß Sake im Blumenkübel neben meinem Platz (den ich entsprechend wählte) ausgegossen. Irgendwann bekam ich mit, dass der Wirt dem Chefingenieur ganz bekümmert mitteilte, dass seine Pflanzen in letzter Zeit etwas kümmerten. Glücklicherweise ging mein Aufenthalt bald zu Ende, so dass sich die Botanik erholen konnte.
PostScriptum: Nach jedem dieser abendlichen Besuche war mir bei der Rückkehr in den Ryokan speiübel. Also ging der erste Gang zur Toilette, Finger in den Hals, bis der Magen leer war. Aber ich konnte danach gut schlafen und fühlte mich am nächsten Morgen fit. Zunächst führte die Übelkeit auf den Alkohol zurück. Aber egal, wie stark ich mich zurück hielt, es wurde nicht besser. Heute weiß ich, dass es eine Nahrungsmittelunverträglichkeit gegen bestimmte Fette gewesen sein musste. Denn bei Besuchen anderer Lokale gab es die Probleme nicht (auch nicht bei Tempura). Generell vertrug ich das japanische Essen ausgezeichnet, musste dann aber nach der Rückkehr nach Deutschland ein paar Tage leichte Kost zu mir nehmen. Andernfalls hielt mein Magen die schwerere deutsche Kost nicht aus und rebellierte regelmäßig.
Bei späteren Arbeitsaufenthalten wandte ich meine höchsten Überzeugungskünste auf, um den Chefingenieur und die Mannschaft zu überzeugen, dass wir nicht jeden Abend in die Kneipe mussten. Ich schob Projektarbeiten vor, so dass ich oft bis 20:00 Uhr in der Anlage blieb. Aber im Hinterkopf wollte ich die oben beschriebenen Folgen vermeiden. Zudem wusste ich, dass Mitarbeiter abkommandiert wurden, um mit mir aus zu gehen. Für die Mitarbeiter hieß es, wenn wir um 21:00 oder 22:00 Uhr das Lokal verließen, noch bis zu 2 Stunden nach Hause zu fahren. Spätestens am nächsten Morgen um 6:00 Uhr war die Fahrt zur Arbeit angesagt. Das wollte ich niemandem antun, zumal mein Heimweg nur gut eine halbe Stunde dauerte.
Abschließend noch eine Episode aus der Gattung ‘Konflikt der Kulturen’. In früheren Beiträgen hatte ich einen jungen japanischen Kollegen erwähnt, der lange in Amerika weilte und dort studiert hatte. Mit seiner Frau war er wieder zurück nach Japan gewechselt, aber beide fremdelten inzwischen mit der japanischen Kultur. Der Kollege begann beispielsweise in japanischer Schrift seine Aufzeichnungen, wechselte aber nach einer Zeile in die englische Sprache und Schrift, weil dies schneller ging. Auch dieser Kollege konnte sich den Trinkgelagen nach Feierabend nicht immer entziehen. Als er eines Nachts sehr spät, etwas angetrunken, nach Hause kam, öffnet seine Frau nicht die Türe. Er musste beim Chefingenieur klingeln und um eine Schlafgelegenheit bitten. Das bedeutete natürlich ‘Gesichtsverlust’ und der Mitarbeiter verließ (zu meinem Bedauern) nach wenigen Monaten die Firma gegen USA.