Es sieht wohl so aus, dass die Besatzung des Boeing-Starliner-Raumschiffs auf der internationalen Raumstation (ISS) gestrandet ist. Die NASA hat Zweifel, ob die Raumkapsel eine sichere Rückkehr zur Erde ermöglicht und denkt an eine SpaceX-Mission, um die Besatzung zurückzuholen – was nicht vor Februar 2025 möglich ist.
Der Boeing Starliner und seine Probleme
Hinter dem Namen Starliner steht ein Raumschiff, das vom US-Flugzeugbauer Boeing entwickelt wurde und – neben der bereits erfolgreich eingesetzten SpaceX Crew Dragon Raumkapsel – Astronauten zur Internationalen Raumstation (ISS) und auch zum Mond bringen soll.
Nach jahrelangen Verzögerungen und einem fehlgeschlagenen, unbemannten ersten Testflug im Dezember 2019 (das unbemannte Raumschiff erreichte wegen Fehlern nicht die internationale Raumstation) gab es dann im Mai 2022 einen 2. unbemannten Testflug der Raumkapsel, der dieses Mal die ISS erreichte. Aber Boeing musste zahlreiche Mängel am Raumschiff beseitigen, wodurch sich der Starttermin um Jahre verzögerte.
Boeing Starliner an ISS angedockt; Quelle: NASA
Der erste bemannte Flug mit dem US-Astronauten Barry Wilmore und der US-Astronautin Sunita Williams gelang nach mehrfachen Verzögerungen am 5. Juni 2024, um 16:52 mitteleuropäischer Zeit (Boeing Starliner ist endlich gestartet).
Probleme beim Jungfernflug
Auch beim Jungfernflug zur ISS gab es technische Probleme mit den Steuertriebwerken. Der US-Astronaut und die Astronautin konnten beim Jungfernflug nur mit Verzögerungen an der Raumstation andocken. Es gibt Helium-Lecks und die Probleme mit den Steuertriebwerken halten an.
Aus den geplanten sieben Tagen Aufenthalt auf der ISS sind nun bereits zwei Monate geworden. Von der NASA hieß es zunächst, dass man etwas mehr Zeit brauche, um die Probleme zu analysieren und den Rückflug einfach um einige Tage verschiebe. Denn das Service-Modul des Raumschiffs verglüht beim Wiedereintritt in die Atmosphäre und es lässt sich nicht mehr untersuche, wo die Fehler liegen.
Rückkehr auf unbestimmte Zeit verschoben
Inzwischen konnte man alle paar Tage ein Statement der NASA verkünden, dass das Raumschiff zwar "sicher sei", aber der Aufenthalt der Besatzung auf der ISS "ein paar Tage verlängert werde", um weitere Tests auszuführen.
Nun drängte die Zeit, denn eigentlich sollte die nächste SpaceX-Mission vier Raumfahrer zur ISS bringen. Das Problem: Es ist kein Kopplungsstutzen zum Anlegen des Crew Dragon Raumschiffs an der Raumstation mehr frei. Denn dieser wird vom gestrandeten Starliner blockiert. Diese Space X-Mission ist nun erst einmal zurückgestellt worden, wie ich am 7. August 2024 hier gelesen habe.
Es wurde von der NASA zwar immer wieder betont, dass der Starliner sicher sei und der Rückflug der Besatzung damit stattfinden könne. Aber Teile wie Batterien sind nur für eine bestimmte Zeit zertifiziert – je später der Rückflug erfolgt, umso kritischer wird das ganze. Inzwischen deutet sich an, dass die NASA das Raumschiff möglicherweise für den Rückflug mit Astronauen nicht mehr für sicher genug erachtet, auch wenn Boeing das nicht so sieht.
Denn ich lese in diversen Beiträgen (u.a. im deutschen Golem-Artikel, oder dieser englische Beitrag), dass die Starliner Crew möglicherweise nicht vor Februar 2025 zur Erde zurück kehren werde. Es wird berichtet, dass die NASA mit SpaceX verhandelt, um die Starliner-Besatzung mit einem SpaceX Crew Dragon-Raumschiff zur Erde zurück zu holen. Diese Mission kann aber nicht vor Februar 2025 stattfinden.
Das ist zwar ein unwahrscheinliches Szenario, aber man wird zu einer Entscheidung über die Rückkehr gelangen müssen, denn die Akkus des Starliner-Raumschiffs halten nur 90 Tage – und diese Frist läuft im September 2024 ab. Die nächste SpaceX Crew Dragon-Mission wurde auf den frühesten Starttermin 24. September 2024 verschoben.
Bis dahin müsste der Starliner vom Kopplungselement der ISS abgedockt worden sein. Das führt dann zu zwei möglichen Szenarien.
- Die US-Raumfahrtbehörde NASA und der Hersteller des Starliner-Raumschiffs kommen zum Schluss, dass die Rückkehr mit Besatzung ausreichend sicher ist. Dann kehrt die Besatzung (ein Astronaut und eine Astronautin) mit dem Raumschiff hoffentlich sicher zur Erde zurück. Das dürfte das wahrscheinlichere Szenario sein.
- Im anderen Fall wäre für den Starliner ein unbemannter Rückflug zur Erde möglich. Hier gibt es aktuell aber das Problem, dass ein automatischen Abdocken von der ISS nicht möglich ist. Es erfordert erst ein Update der Flug-Computer, um ein solches Manöver durchführen zu können.
Tritt der letztgenannte Fall ein, müssten die beiden Raumfahrer des Starliner auf der ISS ausharren, bis eine weitere SpaceX-Raumkapsel mit zwei freien Rückflugplätzen angedockt hat und zur Rückkehr bereit steht. Ob die NASA das Szenario aber eingeht, und Besatzungsmitglieder auf der ISS belässt, ohne dass eine Rückflugmöglichkeit für Notfälle existiert, halte ich für unwahrscheinlich. Dankbar wäre auch, eine SpaceX Crew Dragon-Raumkapsel mit zwei Besatzungsmitgliedern zur ISS zu schicken. Dann könnte die Starliner-Besatzung auf den zwei freien Sitzen mit zurück fliegen. Ich denke, die Verantwortlichen stecken gewaltig in einer Zwickmühle.
Auch Kritik an NASA und SLS
Es läuft nicht wirklich bei Boeing und der NASA in Bezug auf den Starliner. Aber es gibt noch ein Projekt, wo es klemmt und die NASA sowie die Space Launch System-Raketen nicht gut aussehen. Ermittler von US-Bundesbehörden haben sich das Projekt Space Launch System (SLS) angesehen. Mit dieser Rakete sollen ja die Flüge mit der Orion-Kapsel zum Mond erfolgen.
Einen Jungfernflug gab es ja bereits (siehe Artemis 1: Orion-Raumkapsel sicher von unbemanntem Mond-Testflug auf der Erde gelandet), der aber durch eine Reihe Probleme überschattet wurde. Zur Errichtung einer Mondbasis muss die Version 1B des Space Launch System (SLS) verfügbar sein. Ziel ist es, dass diese Rakete im Jahr 2028 starten und dann die die für die Errichtung einer Mondbasis erforderliche Ausrüstung zum Mond fliegen soll.
Ein wichtiger Teil des Raumfahrzeugs ist so genannte Exploration Upper Stage (EUS), die die Frachtkapazität des SLS um 40 Prozent erhöhen wird. Hier sollte Boeing als Hersteller tätig werden. Nun sieht man aber in den obigen Entwicklungen, dass es mit Boeing nicht zum Besten steht (im Flugzeugbau jagt auch ein Desaster das Nächste).
Ein gerade veröffentlichter Bericht des Office of the Inspector General (OIG) der NASA befasst sich mit dieser Entwicklung. Es wird ein Fragezeichen im Hinblick, ob Boeing diese Einheit überhaupt erfolgreich bauen kann, gesetzt.
Nach einer zweijährigen Untersuchung der NASA-Montageanlage in New Orleans stellten die Inspektoren fest, dass Boeing-Mitarbeiter zahlreiche Fehler gemacht hatten – darunter mangelhafte Schweißarbeiten an Sauerstofftanks sowie Metall- und Teflonspäne im Inneren des Flüssigwasserstofftanks. Diese Fehler verzögerten das Programm um sieben Monate, schreibt das britische Medium The Register.
The Register zitiert aus dem Prüfbericht, dass die Boeing Produktionsmitarbeiter nur über ein geringes Qualifikationsniveau verfügten. Eine geringe Mitarbeiterbindung an das Unternehmen sei ein weiteres Problem. Dieses wurde auf zwei Faktoren zurückgeführt wurde: die im Vergleich zum Industriestandard niedrige Bezahlung und der Standort der Anlage in New Orleans, der es schwierig machte, talentierte Mitarbeiter zu gewinnen.
Viele der 71 Anträge auf Korrekturmaßnahmen in den letzten 2 Jahren (unüblich viele für diesen Bereich) haben die Ursache in den selben Versäumnissen bei der Qualitätskontrolle, die auch dem kommerziellen Flugzeugbau geschadet haben: Schlampige Arbeit wird Selbstzertifizierung, es gibt keine Nachverfolgung von Aufträgen, damit Reparaturen überprüft werden können, und "inakzeptable Umweltbedingungen".
"Wir haben festgestellt, dass das Qualitätsmanagementsystem von Boeing nicht den Industriestandards in der Kernproduktion entspricht", heißt es laut The Register in dem Bericht. "Angesichts des Qualitätsmanagements von Boeing und der damit verbundenen Probleme bei der Belegschaft sind wir besorgt, dass diese Faktoren die Sicherheit des SLS und des Orion-Raumschiffs einschließlich der Besatzung und der Fracht beeinträchtigen könnten."
Die NASA ist nicht ganz unschuldig, da sie Vorgaben geändert hat. Die Arbeiten an Version 2014 begannen im Jahr und waren für die zweite Mission im Rahmen des Artemis-Programms vorgesehen. Die NASA beschloss jedoch, den Block 1B für die vierte Mission einzusetzen, wodurch sich die Kosten des Vertrags mit Boeing mehr als verdoppelten.
Die NASA schätzt die Kosten für den Bau der SLS 1B auf 5 Milliarden US-Dollar, die Inspektoren gehen eher von 5,7 Milliarden aus. Auch die Entwicklungskosten für das EUS-Modul, veranschlagt mit 962 Millionen Dollar, steigen bis 2028 auf 2,8 Milliarden Dollar . Ein großer Teil dieser Veränderung ist darauf zurückzuführen, dass die NASA Mittel zur Deckung von Kostenüberschreitungen im Entwicklungsprozess von Artemis I umgeschichtet hat. Es gibt also auch harsche Kritik an der NASA, die als Behörde nicht "optimal" reagiert.
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