Rungholt, in der Nordsee versunkene reiche Stadt – auf jeden Fall eine Sage aus Norddeutschland. Aber gab es diesen Ort an der Nordsee wirklich, oder gibt es inzwischen entsprechende Erkenntnisse. Und wenn es Rungholt gab, warum verschwand es, obwohl andere Inseln wie die Hallige erhalten blieben? Die Wissenschaft hat inzwischen Antworten.
Die Sage von Rungholt
Am 15. Januar 1362 begann eine große Sturmflut an der Nordseeküste, die bis zum 16. Januar 1362 anhielt. Weil am 16.1. der Gedenktag an Marcelli Pontificis (Papstes Marcellus I.) war und die Flut erst am 17.1. zurück ging, wird das Ereignis als Marcellus-Flut oder "Große Mantränke" (auf Grund der vielen Todesopfer) in den Geschichtsbüchern geführt.
In dieser Flut sollen die nordfriesischen Uthlande zerrissen sein. Rund 100.000 Hektar Land, darunter viel fruchtbares Kulturland, gingen verloren. Zwischen Elbe und Ripen sollen der Überlieferung nach zehntausende Menschen ums Leben gekommen sein.
Karte Nordfrieslands aus 1649 von Johannes Meier (Ausschnitt), gemeinfrei
Im Jahr 1622 erwähnte der Chronist Anton Heimreich die große Sturmflut von 1362, bei der Rungholt, der damals größte Handelsort des Nordens, südliche von Pellworm, verloren ging. Der Ort und seine Bewohner seien als Strafe Gottes, für ihren Hochmut und frevelhaftes Verhalten, vom Meer geholt worden.
Auf der 1649 herausgegebenen Nordfriesland-Karte von Johannes Mejer sind die versunkenen Küstengebiete aufgeführt. Rot umrandet sind die heutigen Grenzen markiert. Ich habe Rungholt mit einem roten Pfeil in der Karte markiert. Es scheint ein größerer Ort mit einer Kirche gewesen zu sein.
Entdeckungen und wissenschaftliche Erkenntnisse
Es gab keine Chroniken über Rungholt, die oben erwähnten Berichte entstanden 270 Jahre später, so dass zwischenzeitlich unklar war, ob dieser Ort je existiert hat und ob es eine wohlhabende Gemeinde war.
Die Wikipedia beschreibt Berichte über Funde in den vergangenen Jahrhunderten. Um 1880 entdeckte ein Fischer große Holzreste im Watt, an jener Stelle, an der später die Schleusen von Rungholt gefunden wurden.
Zwischen 1921 und 1938 spülten die Gezeiten im Watt nördlich der Hallig Südfall wieder Überreste von Warften, andere Bauten, einen Deichfuß, Brunnen und Zisternen frei, die eine gute Vorstellung von der Größe der Siedlung vermittelten. Die Funde wurden zwar sehr schnell wieder vom Meer zerstört, wurden aber vorher systematisch erfasst und erforscht und konnten Angaben auf alten Karten bestätigen.
Die Siedlung bestand, laut Wikipedia, aus über 50 Warften. Der Rungholt-Forscher Andreas Busch wird dort mit einer auf der Anzahl und Verteilung von Brunnenresten basierenden Schätzung einer Bevölkerung von mindestens 1500 bis 2000 Einwohner zitiert. Es war eine große Zahl für eine Ortschaft des 14. Jahrhunderts in dieser Gegend. Kiel beispielsweise hatte zu jener Zeit genauso viele Bewohner, in Hamburg lag die Zahl bei etwa 5000, heißt es auf der Wikipedia.
Die Seite scinexx.de hat ein sogenanntes Dossier verfasst, welches sich mit der Sage und den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Rungholt befasst. Ich fand es ganz amüsant zu lesen. Spannend auch die Frage, warum Rungholt unterging und andere Teile der Nordseeküste, wie die heutige Hallig Südfall, vom Untergang verschont blieben.
Das Dossier widmet sich in einem ausführlichen Teil den Problemen des Küstenschutzes – samt Aussagen zur Pest, der viele Menschen dahin raffte, so dass der Küstenschutz und die Deiche vernachlässigt wurden. Auch Torfabbau senkte das Land hinter den Deichen ab.
Aber die Hallig Südfall liegt auf einem tonhaltigen, stark verdichteten und daher sehr stabilen, Sockel aus der Eiszeit, konnte also der Sturmflut trotzen. Die Warften von Rungholt lagen dagegen in einem eiszeitlichen Moränental. Dieses von den Gletschern tief ausgewaschene Tal füllte sich nach Ende der Eiszeit mit Ablagerungen aus Sanden und Tonen auf. Diese Gesteinsschichten waren aber nur locker geschichtet und wurden von der Flut weg gespült.