Ist ein "Männerding" – nachts einen hohen Berg zu besteigen, um seinen Freunden, die auf dem Gipfel verbringen, eins auszuwischen und denen heimlich eine Flasche Milch samt Morgenzeitung zu hinterlassen … soll wohl im Jahr 1947 in den USA passiert sein. Seemannsgarn, oder real?
Ich bin über nachfolgenden Tweet auf das Thema gestoßen – verlinken möchte ich die Zielseite nicht, da diese das Ziel hat, Leute zum Kauf zu animieren, um den Beitrag lesen zu können.
Der Text in obigem Tweet fasst bereits alles wissenwerte zusammen: Ein Mann (muss jung, verrückt und fit gewesen sein) hat einmal mitten in der Nacht den Mount Hood bestiegen, um seinen Freunden, die die Nacht auf dem Gipfel verbrachten, heimlich eine Morgenzeitung und einen Liter Milch zu hinterlassen.
Ja, kann man mal machen, wenn man verrückt genug ist. Die "Freunde" müssen den Berggipfel also am Tag bestiegen haben, um die Nacht dort zu verbringen und am nächsten Tag wieder abzusteigen. Das "einmal" soll sich 1947 zugetragen haben. Machen wir vielleicht mal einen Faktencheck, ob das überhaupt machbar ist – wer klettert Nachts auf einen Berg?
Der Berg …
Der Mount Hood ist ein sogenannter Stratovulkan und mit einer Höhe von 3425 Metern der höchste Berg in Oregon. Der Mount Hood liegt etwa 70 km östlich von Portland im US-Bundesstaat Oregon. Man braucht also kein Kletterzeug, und könnte den Berg auch Nachts erklimmen. Unklar ist aber, ob beim Aufstieg einer der Gletscher an den Bergflanken zu überqueren ist – Nachts wegen der Gletscherspalten in meinen Augen schwierig bis unmöglich – den Aspekt habe ich daher ignoriert.
Aber es weitere Punkte, die mich an der Geschichte stören. Laut dieser US-Seite, die sich mit Genehmigungen zum Besteigen dieses Gipfels befasst, braucht ein gut trainierter Mensch, der sich gut auf den Aufstieg vorbereitet hat, und im Durchschnitt 1000 Höhenmeter pro Stunde bewältigen kann, für den Aufstieg etwas mehr als 5 Stunden. Leute, die in guter Form sind, und für die Besteigung des Mt. Hood trainiert haben, können mit 4-7 Stunden Aufstiegszeit bis zum Gipfel rechnen. Andere Bergsteiger sollten sich auf einen längeren Aufstieg einstellen, etwa 6-9 Stunden.
Der Lügen-Check
Gut, eine Flasche Milch kann man am Vortag kaufen. Aber eine Morgenzeitung wird erst am späten Abend gedruckt. Der Mann muss Zugriff auf die Druckerrei haben, dann von dort zum Parkplatz am Mount Hood gelangen, um anschließend die 4-7 Stunden Aufstieg zu meistern. Und dies bei Nacht. Sofern er gegen 23:00 Uhr los kletterte, hätte der Mann das in der Nacht bis 4 oder 5 Uhr in der Früh schaffen können.
Meine Erfahrung im Hinblick auf den Aufstieg zum Fujijama in Japan (Höhe 3776,24 Meter) so um 1990 wecken Zweifel. Gut, wir mussten um 4 Uhr per Auto los, um ca. 100 km vom Aufenthaltsort zum Parkplatz für den Aufstieg zurückzulegen (siehe meinen Beitrag Der 'Ausflug' zum Fuji – Teil 1 im Japan-Blog). Bei Tagesanbruch ging es von 2.300 Meter Höhe zum Gipfel, den wir am Mittag erreichten (genaue Uhrzeit weiß ich nicht.
Es waren aber einige Stunden Aufstieg – und ich erinnere mich an rasende Kopfschmerzen auf Grund der dünnen Höhenluft und dem zu schnellen Aufstieg. Ich musste mich immer wieder in der Aufstiegsgeschwindigkeit bremsen, damit der Körper sich an die Höhenluft gewöhnen konnte. Ging meinen Bergbegleitern – einige japanische Bergsteiger – nicht anders – die bremsten mich immer "langsamer gehen, Du kriegst sonst Probleme mit der Höhenluft". Viele ältere Japaner hatten Sauerstoff-Masken zur Atemunterstützung dabei.
Alles in allem halte ich die obige Geschichte zwar nicht für unmöglich, aber die "Konstruktion des Plot" ist in meinen Augen arg sportlich. Teile davon dürften geflunkert sein – wenn nicht sogar die komplette Story – so in der Art "Ich kannte mal einen, der einen kannte, und der hat mir erzählt, als er noch jung war, da kannte er jemanden, der soll das doch glatt gemacht haben". Oder wie wird die Sache von der Leserschaft gesehen?