Ein Forscherteam unter der Leitung des Historikers Richard Bulliet von der Columbia University sowie der Ingenieure Lee Alacoque von der University of Illinois Urbana-Champaign und Kai James vom Georgia Institute of Technology haben eine Theorie zum Ursprung des Rades aufgestellt und glauben zu wissen, wo und weshalb dieses erfunden wurde.
Bisher heißt es, dass das Rad als solches in Mesopotamien erfunden wurde. Es sei 300 Jahre nach Erfindung der Töpferscheibe für den Transport genutzt worden. Aktuellen Untersuchungen zufolge stammt das älteste bisher entdeckte Holzrad aus Ljubljana, Slowenien. Dieses Rad ist aus der Zeit um 3.200 v. Christus.
Eine Ende Oktober 2024 veröffentlichte Studie widmet sich der Frage, wann und wo das Rad denn nun erfunden worden sei. Zu nah liegen die zeitlichen Einordnungen, wie das Rad verwendet wurde, in verschiedenen Regionen zusammen. Neben Mesopotamien wird auch Osteuropa als Wiege der Erfindung des Rads gehandelt.
In ihrer Studie setzten die oben erwähnten Forscher modernste Techniken der rechnergestützten Strukturmechanik ein, um Licht in dieses seit langem bestehende Rätsel zur Erfindung des Rads zu bringen.
Die Forscher glauben, dass sich die ersten Räder wahrscheinlich vor fast 6000 Jahren entwickelt haben. Auf Grund dieser Analyse liefern die Forscher neue Belege für die kürzlich aufgestellte Theorie, dass das Rad bereits 3900 v. Chr. von neolithischen Bergleuten erfunden wurde, die Kupfererz in den Karpaten abbauten.
Bulliet und seine Kollegen untersuchten mit Hilfe der Designwissenschaft und der Computermechanik, wie Bergleute einfache Walzen – aus von Ästen befreite Holzstämme – nach und nach in Rad-Achs-Systeme umwandelten. Diese waren für enge Bergwerksstollen geeignet.
Die Studie der Forscher deutet darauf hin, dass die einzigartige Bergbauumgebung mit ihren engen und gewundenen Pfaden einen evolutionären Druck ausübte, die Technologie weiter zu entwickeln. Aus den einfachen, aus Baumstämmen bestehenden Rollen wurden dann fortschrittlichere, wendigere Rad- und Achssysteme entwickelt.
Entwicklung des Rad-Achs-Systems. Quelle: Royal Society Open Science (2024)
In ihrem Modell zeichneten die Forscher drei kritische Phasen in der Entwicklung des Rades auf (siehe obige Abbildung). Zunächst waren die Rollen gerillt (b), um zu verhindern, dass erzbeladene Kisten abrutschen. Dank dieser Änderung mussten die Arbeiter die Rollen nicht ständig entlang des Transportwegs neu positionieren, was den Förderprozess vereinfachte.
Die zweite Innovation bestand darin, die Enden dieser gerillten Rollen zu verbreitern, was zu einer rudimentären Achse führte (c), die einen einzelnen oder doppelten Satz Räder aufnehmen konnte.
In den Karpaten wurden weitere archäologische Beweise für die Bergbautheorie gefunden. Bei Ausgrabungen in der Region wurden über 150 Tonmodelle von vierrädrigen Karren zutage gefördert, die auf etwa 3600 v. Chr. datiert und mit der Boleráz-Kultur in Verbindung gebracht werden.
Bemerkenswerterweise dienten diese Miniaturkarren wahrscheinlich als Trinkgefäße, was auf eine kulturelle Vertrautheit mit Strukturen auf Rädern hinweist. Den Forschern zufolge ähneln diese Artefakte kleinen Körben auf Rädern, die Bergleute zum Transport von Erzen verwendet hätten, was auf einen praktischen Ursprung des Designs hindeutet.
Die kupferzeitliche Lage in den Karpaten stützt diese Theorie zusätzlich. Da der Kupferabbau in diesem Gebiet immer schwieriger wurde, waren effiziente Methoden für den Transport von schwereren Erzen unerlässlich.
In der Studie werden auch Beispiele von Artefakten mit Rädern aus benachbarten Regionen und Kulturen angeführt, wie das Rad aus den Laibacher Sümpfen in Slowenien, das auf ein Alter zwischen 5 100 und 5 350 Jahren datiert wird, sowie Objekte mit Rädern aus Nordafrika und Asien, die alle den weitreichenden Einfluss der Radtechnologie in frühen menschlichen Gesellschaften unterstreichen.
Man kann davon ausgehen, dass das Rad daher in vielen Regionen Osteuropas und in Mesopotamien nahezu zeitgleich erfunden oder weiter entwickelt wurde. Die Original-Studie lässt sich hier abrufen. Eine Kurzfassung findet sich in Archaeology News – ein deutschsprachiger Beitrag ist in der Berliner Morgenpost abrufbar.