Funde in Belgien: Neandertaler waren Kannibalen

Die Tage machte eine Meldung über Funde in einer belgischen Höhle Schlagzeilen. In der von Neandertalern bewohnten Höhle gab es Knochenfunde, die seit Jahren Kannibalismus unter Neandertalern nahelegt. Nun gibt es neue Forschungserkenntnisse zu diesem Thema.

Die Höhlen von Goyet

Beim Weiler Goyet in der belgischen Gemeinde Gesves (Provinz Namur in Belgien) gibt es am Fluss Struviaux mehrere Höhlen. In der troisième caverne (3. Höhle) von Goyet wurden 101 Knochen von Neandertalern geborgen, für die ein Alter zwischen 45.000 und 41.000 Jahren BP ermittelt wurde.

Berichte über Kanibalismus 2016

Auf den gefundenen Knochen der Neandertaler entdeckte man Schnittspuren, die als Hinweis auf eine Dekarnation („Entfleischung") und auf Kannibalismus interpretiert werden – der größte Fund mit diesen Merkmalen in Nordeuropa. Die Universität Tübingen hatte 2016 im Artikel Kannibalismus unter den späten Neandertalern im nördlichen Europa auf dieses Thema hingewiesen.

An Neandertalerknochen aus der Ausgrabungsstätte in den Höhlen von Goyet in Belgien habe ein internationales Forscherteam klare Belege für intentionelle Schlachtungen gefunden, heißt es. Dies sei der erste Nachweis von Kannibalismus unter Neandertalern im nördlichen Europa.

Die Überreste wurden sehr intensiv genutzt und tragen Hinweise auf Enthäutung, Zerteilung und Extraktion des Knochenmarks. „Diese Nachweise lassen auf Kannibalismus unter den Neandertalern schließen", sagt Hervé Bocherens. Es sei allerdings nicht möglich zu bestimmen, ob die menschlichen Überreste im Rahmen symbolischer Handlungen bearbeitet worden seien oder ob die Mitmenschen ausschließlich als Nahrung dienten.

"Die zahlreichen in Goyet gefundenen Überreste von Pferden und Rentieren wurden in der gleichen Weise bearbeitet", so der Wissenschaftler. Unter Wissenschaftlern unumstrittene Nachweise für Kannibalismus unter Neandertalern waren bisher von den beiden Ausgrabungsstätten El Sidrón und Zafarraya in Spanien und zwei weiteren in Moula-Guercy und Les Pradelles in Frankreich bekannt. Die Höhlen von Goyet liefern das erste Beispiel aus dem nördlichen Europa.

Dass die Neandertalerknochen aus Goyet von den Mitmenschen auch als Werkzeuge eingesetzt wurden, zeigen unter anderem vier Knochen eindeutig – ein Oberschenkelknochen und drei Schienbeine –, die zur Nachbesserung der Kanten von Steinwerkzeugen dienten. Solche Werkzeuge für die Nachbearbeitung wurden sonst häufig aus Tierknochen gefertigt. „Der Einsatz von Neandertalerknochen für diesen Zweck war nur von sehr wenigen Ausgrabungsstätten bekannt, und nirgends wurden sie so zahlreich gefunden wie in Goyet", sagt Bocherens. Für die Wissenschaftler ergibt sich mit den neuen Erkenntnissen eine beträchtliche Vielfalt an Verhaltensweisen im Umgang mit Toten bei den späten Neandertaler.

Neue Erkenntnisse in 2025

Im Jahr 2025 berichteten Forscher in der Fachzeitschrift Nature über erstmals detailliert analysierte Langknochen aus dieser Fundstätte. Bei den Knochen handelt es sich um die Überreste von mindestens sechs Individuen, darunter vier erwachsene oder heranwachsende Frauen.

Isotopen-Bestimmungen und Vergleiche mit ähnlichen alten Funden aus der Region ergaben, dass die Frauen nicht lokaler Herkunft waren, die Entfleischung könnte folglich eine Folge von Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen gewesen sein.

Auf Focus Online findet sich dieser Artikel mit einigen Erläuterungen. Die Forscher gehen von Exokannibalismus aus, bei der Individuen, die nicht zur eigenen sozialen Gruppe gehörten, getötet und dann gegessen wurden.

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