Am heutigen Freitag (14. Februar 2020) findet im Bundesrat eine Abstimmung des Verkehrsausschusses über eine Vorlage statt, die Städten eine gewisse Handhabe gegen die Flut der Leih-E-Scooter bieten sollen. Dagegen läuft seit Wochen eine Lobby-Schlacht der Sharing-Anbieter, die jetzt einen Höhepunkt erreicht. Daher ein Blog-Beitrag, der das Ganze aufdeckt. Ergänzung: Die Lobby-Schlacht hat gefruchtet.
Ich habe es nur am Rand mit verfolgt, mache jetzt aber einen eigenen Beitrag, weil ich es für unerträglich halte, was da aktuell läuft (und das, als jemand, der über Elektro-Tretroller bloggt und im Grunde der Sache neutral bis positiv gegenüber steht).
Worum geht es?
Am heutige Freitag (14. Februar 2020) findet im Bundesrat unter Tagesordnungspunkt 50 eine Beratung und Abstimmung über Anträge der Bundesländer zu Sachverhalten des Verkehrsrechts statt. Zitat:
Viel Änderungsbedarf aus den Ländern
Die Fachausschüsse haben den Entwurf der Bundesregierung intensiv beraten und fordern über 70 Änderungen, die sich auf nahezu alle Bereiche der Verordnung beziehen.
Tempo 130 auf Autobahnen?
Die Empfehlungen betreffen unter anderem ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen, die Ausgestaltung der Parkraumbewirtschaftung und der geplanten Fahrradzonen, das Abstellen von E-Scootern auf Gehwegen, die Bevorzugung von Fahrzeugen mit mehreren Insassen und den Abbau des Schilderwaldes sowie die Erhöhung der Verkehrssicherheit. Zahlreiche Änderungsmaßgaben beziehen sich auf den Bußgeldkatalog
Auf der verlinkten Seite kann man sich den Entschließungstext ansehen. Ich zitiere mal diesen Text.
14. Zu Artikel 1 Nummer 7a – neu – (§ 29 Absatz 4 – neu – StVO)
In Artikel 1 ist nach Nummer 7 folgende Nummer 7a einzufügen:
‚7a. Dem § 29 wird folgender Absatz 4 angefügt:
„(4) Das Parken von Elektrokleinstfahrzeugen und Fahrrädern auf für den Fußgängerverkehr vorgesehenen Verkehrsflächen bedarf der Erlaubnis, wenn dies zu gewerblichen Zwecken, insbesondere zur Vermietung der Fahrzeuge oder zu deren Verleih, erfolgt. Satz 1 gilt nicht Vk (entfällt bei Annahme von Ziffer 12) Vk (bei Annahme entfällt Ziffer 59) – 13 – Empfehlungen, 591/1/19 … für Fahrzeuge, die ausschließlich im Rahmen eines stationsbasierten Modells angeboten werden." '
Also mal festgehalten: Wenn Firmen die Fußgängerbereiche der Städte mit Elektrokleinstfahrzeugen (E-Scootern) voll pflastern wollen, benötigen sie künftig eine Erlaubnis der Städte. Halte ich für eine selbstverständliche, logische und nachvollziehbare Regelung, die eigentlich mit der Elektrokleinstfahrzeugeverordnung von 2019 eingeführt gehört hätte.
Nun hat das Land Berlin diesen Nachtrag angefordert, weil dort die Situation mit den von den Sharing-Anbietern abgestellten eScootern unhaltbar geworden ist.
(eScooter, Symbolbild, Quelle: Pexels, Magda Ehlers, freie Nutzung)
Die Lobby-Maschine läuft
Vor einigen Tagen sind mir erst Artikel unter die Augen gekommen, die sich mit der Thematik befassen. Das Handelsblatt geht in diesem Artikel auf das Thema und die Abstimmung ein. Der Titel suggeriert, dass E-Scooter schon 'bald wieder aus den Städten verschwinden könnten', weil der Bundesrat eine Änderung des Verkehrsrechts plant, die das Geschäft der Sharing-Anbieter von Elektrotretrollern 'massiv erschweren könnte'. Das Thema kommt recht apokalyptisch daher – macht sich das Handelsblatt zum Büttel für die Sharing-Anbieter-Lobby?
Nur mal angemerkt: Es geht darum, dass Städte und Kommunen eine Handhabe bekommen, die eScooter-Flotte von Verleihern zu regulieren und feste Abstellbereiche vorzugeben. Eine, in meinen Augen, sehr sinnvolle Sache. Jeder kleine Gastwirt muss beantragen, wenn er ein paar Tische vor seine Wirtschaft stellen will – und Nutzungsgebühren zahlt er auch. Die eScooter-Verleiher machen nun einen riesen Bohei, weil sie nun genau den gleichen Regularien unterworfen werden sollen, die für den Rest der Firmen und Bürger gilt? Finde den Fehler.
Wenn dadurch das Geschäftsmodell der Verleiher zusammenbricht, war der Ansatz eh nicht nachhaltig (Gewinne kassieren, Kosten und Folgen sozialisieren – das kann es nicht sein).
Nebenbei gehen mir Presseberichte von 2019 durch den Sinn, wo Bürgermeister kleinerer Kommunen sich ratlos geben. Die haben bei Sharing-Anbietern angefragt, ob die nicht in ihren Städten die Fahrzeuge anbieten möchten. Der Markt war den Firmen nicht lukrativ genug – die gerne und oft von dieser Klientel propagierte 'Verkehrs- und Mobilitätswende' muss halt in diesen Kommunen als 'wirtschaftlichen Gründen' leider ausfallen.
Und weil die Branche ja so gerne über 'Partnerschaften' schwadroniert, noch ein Fundsplitter aus meinem Blog: Dresden: Lime-Konkurrenz von ungenehmigtem Verleih
Dann hatte ich gestern im Artikel Deutschlandkarte Elektrotretroller-Ausleihe über einen Artikel des Zeit-Magazins berichtet, wo eine Karte mit Städten gezeigt wurde, die E-Scooter anbieten. Der Tenor: In Städten, die touristisch nicht so hipp sind, werden auch E-Scooter verliehen – die Fahrzeuge sind also nicht zur Bespaßung von Touristen da, sondern sinnvoll. Habe mich gefragt: Was will mir die Zeit-Redaktion mit dem Beitrag sagen? Macht im Kontext des Beitrags nun plötzlich sehr viel Sinn.
Und David Fischer (Pressesprecher der Fraktion der Grünen in Baden-Württemberg) hat in den folgenden Tweets Nachrichten geteilt, die der US-Verleiher Lime rund geschickt hat.
Der #Bundesrat befasst sich am Donnerstag mit strikteren Regeln für #Roller. Dagegen starten Anbieter wie #Lime Kampagnen und bitten Nutzer in Mails, „der Landesregierung eine Nachricht zu schreiben, warum du der Meinung bist, dass E-#Scooter nicht verschwinden sollten." (1/3) pic.twitter.com/DF56uzYORy
— David Fischer (@daf_news) February 8, 2020
Auszug aus der Mail von #Lime mit dem Betreff „Keine Verbote für E-#Scooter!" #bundesrat pic.twitter.com/RJwyquTdgF
— David Fischer (@daf_news) February 8, 2020
Also das alte Modell: Wild West, keine Regulierung und alles auf Kosten der Allgemeinheit – sich dann aber als Weltenretter feiern lassen wollen. Geht gar nicht. Und dann ist mir vor einigen Stunden folgender Tweet unter die Augen gekommen, der dann zum Entschluss geführt hat, den Artikel hier zu verfassen (denn das letzte Puzzle-Teil ist ins Bild gefallen).
Das hat es bisher noch nie gegeben: Die 6 größten #EScooter Anbieter @limebike, @tierscooters, @circ, Voi, Jump und @BirdRide haben sich zusammen getan. Grund ist eine Gesetzesänderung, über die der Bundesrat am Freitag entscheidet.https://t.co/IyiZtRJjzI
— Hannah Schwär (@HannahSchwaer) February 13, 2020
Als ich den Artikel von Business Insider, der in obigem Tweet verlinkt wurde, gelesen habe, hat es mir dann doch die Spucke verschlagen. Eigentlich hätte ich erwartet, dass über dem Artikel zu erst das Wort 'Werbung' steht. Die Aussagen des Blatts: Die sechs größten Sharing-Anbieter bei eScootern sehen sich in ihrer Existenz bedroht, weil sie bei Kommunen eine Erlaubnis zum Aufstellen ihrer Fahrzeuge einholen müssten, und eventuell Gebühren verlangen sowie Auflagen erteilen können (z.B. Flottenobergrenzen, Abstellregelungen etc.). Etwas, was Städte wie Paris längst einführen – und Berlin sieht sich zu diesem Bundesratsantrag gezwungen, weil die 'freiwilligen Regelungen' schlicht nicht funktionieren. Die sechs Sharing-Anbieter machen gemeinsame Sache, wie Business Insider stolz verkündet. Es gibt ein gemeinsames Positionspapier, in der der Bundesrat aufgefordert wird, dem Antrag Berlins nicht zuzustimmen. Lime setzt noch einen drauf und 'fordert', dass die Kommunen gefälligst Abstellplätze als Infrastruktur bereitzustellen hätten.
Wenn man sich mal den Test von Business Insider durchliest, fällt einem glatt die Kinnlade runter, und ich frage mich, ob die einen Pressetext mit dem Positionspapier der Sharing-Anbieter als redaktionellen Beitrag umformuliert haben. Das Geschäftsmodell der Startups besteht, laut Business Insider, darin, 'die Fahrzeuge überall im öffentlichen Raum aufstellen zu dürfen' – denn es gilt das sogenannte 'Free-Floating'-Modell. Die dürfen alles, jeder soll seinen eScooter direkt vor der Türe abstellen dürfen. Dass die Sharing-Anbieter die Fahrzeuge nur da aufstellen, wo eine gewisse Ausleihfrequenz gegeben ist, wird im Artikel genau so unterschlagen, wie der Umstand, dass die freiwilligen Regelungen mit den Kommunen nicht funktionieren – und eScooter für viele Leute inzwischen zum Hassobjekt geworden sind.
Ich erspare mir weiter aus dem Business Insider-Artikel zu zitieren – bei Interesse lest selbst. Einen schamloseren Lobby-Artikel habe ich längst nicht mehr gelesen. Ich bin gespannt, wie der Bundesrat entscheidet – es bleibt zu hoffen, dass die Entschließung in der Form der Beschlussvorlage durchkommt. Denn in anderen Ländern fährt der Zug längst (auch auf Grund der Wildwest-Methoden der Startups) längst in Richtung Regulierung, Auflagen und Gebühren. Ich verweise auf den heutigen Artikel eScooter: Auflagen/Gebühren in US-Städten 'Game-Stopper' sowie den vor fast genau einem Jahr, im März 2019, drüben im IT-Blog veröffentlichten Artikel (e)Scooter: Chance oder einfach nur Bullshit?
Ergänzung: Die Lobby-Schlacht hat gefruchtet. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 14.2.2020 die vorgeschlagene StvO-Änderung für den E-Scooterbetrieb in Deutschland, nach der das Parken der Fahrzeuge auf dem Gehweg nur noch bei Genehmigung der Städte möglich gewesen wäre, leider abgelehnt. Genauso wie die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 130 km/h auf Autobahnen.
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